10. bundesweiter „Aktionstag gegen den Schmerz“ am 01. Juni 2021 – Interview mit PD Dr. Stefan Wirz, Facharzt für Anästhesiologie und Schmerztherapie bei den GFO Kliniken Bonn

PD Dr. Stefan Wirz, Facharzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie, Palliativmedizin, Akupunktur, Lehrbeauftragter der Universität Bonn Sprecher Arbeitskreis Tumorschmerz Deutsche Schmerzgesellschaft zahlreiche Publikationen und Vorträge zu den Themen Schmerzmedizin und Anästhesie - Foto: GFO Kliniken Bonn

Am 1. Juni 2021 findet der 10. bundesweite „Aktionstag gegen den Schmerz“ statt. An diesem Tag machen die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. und ihre Partnerorganisationen auf die lückenhafte Versorgung von vielen Millionen Menschen aufmerksam, die an chronischen Schmerzen leiden. PD Dr. Stefan Wirz, Chefarzt für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie im CURA Krankenhaus in Bad Honnef, beantwortet wichtige Fragen rund um die Chronifizierung von Schmerzen und deren Therapie.

Herr Dr. Wirz, in Deutschland sind etwa 23 Millionen Deutsche von chronischen Schmerzen betroffen. Bei vielen sind die Schmerzen so deutlich ausgeprägt, dass sie sich im Alltag und im Berufsleben beeinträchtigt fühlen.

Die Zahl von 23 Millionen Deutschen mit chronischen Schmerzen erscheint auf den ersten Blick außerordentlich hoch. Es handelt sich dabei zumeist um Schmerzen, die zwar bestehen, aber den Menschen nicht aus seiner Lebensmitte herausreißen. Leider sind ca. 6 Millionen Menschen durch diese Schmerzen in ihren Alltagsfähigkeiten gestört. Bei mehr als 2 Millionen Menschen wiederum liegt die sogenannte „Schmerzkrankheit“ vor, bei der die Schmerzempfindung eine so zentrale Rolle einnimmt, dass die Arbeitsfähigkeit, die Psyche und die körperliche Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind. Weiterhin rechnen wir mit zusätzlichen 500.000 Patienten mit Tumorschmerzen, von denen viele trotz aller guten Angebote unzureichend behandelt werden.

Was brauchen diese Menschen im allerersten Schritt?
An erster Stelle stehen eine exakte Schmerzdiagnostik und die Erfassung der schmerzauslösenden Prozesse, sowohl auf körperlicher als auch psychischer Ebene. Hier sehe ich häufig Defizite, die der unzureichenden Ausbildung, aber auch systematischer organisatorischer Beschränkungen geschuldet sind. Oft haben diese Patienten keine Lobby und treffen auf Unverständnis seitens Familie, Kollege*innen, aber auch behandelnden Ärzten und Therapeuten. Insofern liegt ein wichtiger erster Schritt im Verstehen der Mechanismen, die hinter dieser Entwicklung der Schmerzkrankheit liegen. Im Fachjargon sprechen wir von Chronifizierungsmechanismen. Wenn diese vorliegen, helfen oft einseitige Therapieangebote wie eine reine Medikamentenbehandlung oder wiederholte Verabreichung von Injektionen nicht. Sinnvoller ist ein umfassendes Behandlungskonzept, bei dem sowohl die körperlichen als auch psychischen Faktoren adressiert werden: dies kann z.B. im so genannten multimodalem Behandlungskonzept erreicht werden. Dabei arbeiten Ärzte, Psychologen und Therapeuten eng verzahnt miteinander in einem abgestimmten Behandlungsplan, bei dem unterschiedlichste Verfahren miteinander synergistisch kombiniert werden. Die Wirksamkeit dieser multimodalen Schmerztherapie ist wissenschaftlich erwiesen. Neben der Remobilisierung und Motivation ist das Erklären der Schmerzen für die Patienten der multimodalen Schmerztherapie ein wichtiger Schritt in die Minderung von chronifizierten Schmerzen.

Warum haben wir Schmerzen?
Schmerzen stellen für unseren Körper eine Schutz– und Warnfunktion dar, die letztendlich lebenswichtig ist. Denken wir z.B. an Bauchschmerzen bei einer Magenerkrankung oder Gelenkschmerzen bei einer Verletzung: hier weisen die Schmerzen auf die Notwendigkeit einer Behandlung bzw. Schonung hin.

Hat jeder Mensch ein anderes Schmerzempfinden?
Ja. Schmerz stellt immer eine subjektive Sinnes– und Gefühlswahrnehmung dar. Diese Wahrnehmung kann sich bei langandauernden oder sich wiederholenden Schmerzen verändern und in die o.g. Schmerzkrankheit münden. Umgekehrt gibt es auch Wege aus dem Schmerz heraus. Belastend ist für Patienten häufig das Unverständnis der Umwelt, da man Schmerzäußerungen nicht objektivieren kann. Daneben gibt es auch Schmerzen wie z.B. Nervenschmerzen, bei denen man nicht unbedingt ein geschädigtes Gewebe sehen kann. Das führt dazu, dass man den eigenen Schmerz nicht versteht.
Was gehört zu einer guten und wirksamen Schmerztherapie? Wie können Schmerzen eingedämpft werden?
Kurz gesagt: eine umfassende Diagnostik der körperlichen Symptome, der psychischen Befindlichkeit und der individuellen „Funktion“ der Schmerzen. Daran entscheidet sich die Auswahl der Therapie, sei es medikamentös, physio– oder ergotherapeutisch, mittels Interventionen oder psychologisch. Bei akuten Schmerzen kann die Auswahl von einer
oder zwei dieser Behandlungsmöglichkeiten effektiv sein. Ist der Schmerz von komplexer Natur bzw. chronifiziert, sollte der multimodale Ansatz gewählt werden.

Die Deutsche Schmerzgesellschaft warnt davor, dass sich die Versorgung von Schmerzpatienten durch die Corona–Pandemie verschlechtert hat. Notwendige Therapien werden verschoben. Welche Sofortmaßnahmen können ergriffen werden, damit die Betroffenen besser versorgt werden?

Genau dies ist der Fall. Der Arbeitskreis Tumorschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft hat dazu eine deutschlandweite Befragung von Ärzt*innen in Krankenhäusern und Praxen initiiert mit Blick auf die Versorgung von Schmerzpatienten aus dem Tumorbereich. Ich persönlich weiß von einer Vielzahl von Schmerzpatienten, die Ängste hatten, sich in Schmerzambulanzen und/oder Kliniken vorzustellen bzw. behandeln zu lassen. Da waren Ausweichangebote wie der telefonische Kontakt oder Videosprechstunden kein ausreichender Ersatz. Es ist damit zu rechnen, dass sich Chronifizierungsprozesse bei vielen Schmerzpatienten verstärkt haben, nicht auch zuletzt durch die eine Corona–bedingte Isolation. Ebenso sind zahlreiche Erkrankungen vermutlich nicht ausreichend diagnostiziert worden. Als Sofortmaßnahme kann ich nur raten, die Schmerzbehandlung nicht auf die lange Bank zu schieben. Mittlerweile haben alle Ambulanzen und Kliniken belastbare Hygienekonzepte. In diesem Zusammenhang haben wir im Cura Krankenhaus in Bad Honnef regelmäßige Testungen eingeführt oder die Teilnehmerzahl an den Gruppentherapien deutlich reduziert.

Welche Behandlungsmöglichkeiten bieten Sie Schmerzpatienten im Cura Krankenhaus in Bad Honnef an?
Im Cura Krankenhaus bekommen Patienten sowohl stationär als auch in der niedergelassenen Schmerzambulanz ein umfangreiches Behandlungsangebot. Wir behandeln akute und chronische Rückenschmerzen, Nervenschmerzen, Tumorschmerzen oder auch komplexe Erkrankungen wie der Fibromyalgie. Das Behandlungsangebot beinhaltet die Akutschmerztherapie bis hin zur multimodalen Schmerztherapie. Dabei arbeiten wir mit Orthopäden, Unfallchirurgen und Onkologen eng zusammen. Ab September 2021 begrüßen wir die Patenten in unserer umgestalteten Schmerzstation mit neuen und modernen Behandlungsräumen.

(da)

27.05.2021
Foto: GFO Kliniken Bonn